Nuwo Teil 2: Die Suche

Eine lange Liste lag auf dem Tisch. Daneben eine Karte. „Also“, sagte der Manager, „Wir gehen davon aus, dass irgendjemand der Gäste das Teil stibitzt hat. Anders kann es gar nicht sein.“

Eine Katze sah ihn an!

„Außerdem muss sich der oder diejenige sehr gut im Haus auskennen, das sollte die Zahl der Verdächtigen einschränken. Infrage kommen also in erster Linie diejenigen Leute, die häufig hier sind. Und vor allem muss die Person in der Lage sein, sich sehr unauffällig zu verhalten.“

Nuwo nickte. Der Manager zeigte auf die Liste: „Die Gästeliste des gesamten Jahres.“

Die Liste war ausgesprochen lang , denn Nuwo war eine durchaus bekannte Persönlichkeit in der Stadt.

Er trat vor und sah auf die Liste. Dann verstand er, es war wie ein Puzzle. Er schloss die Augen und die im einfallenden Licht tanzenden Staubpartikel stoppten für den Moment; Absolute Stille trat ein. In Nuwos Gedanken erhob sich eine Stadt, Gebäude aus Wissen. Die Liste der Namen hatte er mit einem Blick auswendig gelernt. Er ordnete den Namen Gesichter und Adressen zu, dann Hintergrund Informationen wie Beruf und mögliche Motive für den Teilediebstahl. Wer war am verdächtigsten?

Keine ganze Sekunde verging und er hatte im Kopf eine detaillierte Liste mit denen erstellt, die am ehesten in Frage kamen. Zudem hatte er die jeweilige Wahrscheinlichkeit ausgerechnet.

„Los geht’s“, sagte er. Der Manager eilte voraus und fuhr den Wagen vor. Sie mussten gar nicht weit fahren, da standen sie schon vor dem Haus des ersten Verdächtigen. Es war eine ausladende Stadtvilla mit kunstvoll geschnittenen Buchsbäumen. Ausgesprochen verdächtig.

Der Verdacht jedoch stellte sich als Fehlanzeige heraus. Dr. Watschlings war ein glaubwürdiger Mann und konnte alle ihre misstrauischen Fragen offen beantworten. Dem Scharfsinn Nuwos wäre kein Blinzeln entgangen, jede Verunsicherung wäre ihm aufgefallen. So ging es weiter. Auch die anderen auf der Liste stellten sich nach und nach als unschuldig heraus.

In den folgenden Tagen suchten sie unermüdlich weiter, immer entlang der Liste.

Dann, es war gegen Mittag, passierte es: Der Motor machte ein Geräusch, als hätte man einen Satz Schraubenschlüssel in das Getriebe geworfen. Das Auto ruckte und blieb stehen. Über das Telefon verkündete der Pannendienst, binnen zwei oder drei Stunden zur Stelle zu sein. Oder Vier, so genau wüsste man das selbst nicht.

Der Manager blieb am Wagen zurück und Nuwo macht sich zu Fuß auf den Weg, um schon einmal weiterzusuchen.  

Er schritt zwischen den Häusern der Stadt entlang und bog um eine Ecke. Dann – Nein! Konnte das sein? Eine Katze sah ihn an, an ihrem Halsband ein kleines Puzzleteil neben der Marke.

Er wollte danach greifen, doch die Katze sprang zur Seite und wich ihm aus. Er versuchte es erneut, doch sie war zu schnell. Schließlich wandte sie sich um und lief den Gehweg entlang davon.

Auch er rannte los, doch da blieb sie plötzlich wieder stehen. Sie schaute ihn einen kurzen Moment lang an und sprang dann über ein Tor in einen Hinterhof. Er kletterte hinterher, doch schon lief sie weiter, durch eine Abkürzung in die nächste Straße. So rannte er durch Gassen und Gärten, die Katze immer ein paar Meter im Vorsprung.

An den Ecken blieb er kurz stehen um nach Luft zu schnappen, nur um im nächsten Moment schon wieder weiterzulaufen. Schließlich kletterte sie eine Leiter hinauf, die an einer der alten Häuserfassaden lehnte und zu einem Fenster führte.

Er hatte kaum überlegt, da kletterte er schon hinterher. Sie wartete auf der Fensterbank auf ihn. Er erreichte die oberste Sprosse und machte einen Satz auf die Katze zu, die nach hinten ins Zimmer sprang und interessiert dabei zusah, wie er über die Fensterbank kippte und mit dem Kopf in einem Eimer voll Wischwasser landete.

In diesem besonderen Moment ging die Tür des Zimmers auf und jetzt war es nicht mehr nur die Katze, die weiterhin interessiert schaute, sondern auch eine verwunderte junge Dame.

„Warum halten sie ihren Kopf in einen Eimer mit Wischwasser?“, fragte sie mit betonter Sachlichkeit. Nuwo fiel nichts Brauchbares ein. Was sollte er darauf sagen? Sonst wusste er immer etwas. Er fühlte sich dumm.

„Machen Sie das häufiger?“ fragte die Dame weiter.

„Ich wollte…“ begann Nuwo, wurde jedoch von der Katze unterbrochen, die zuerst auf seinen Kopf und dann auf die Fensterbank hüpfte. Von dort aus verschwand sie aus dem Zimmer.

„Ja, Sie wollten..?“ fragte die junge Frau in einem Tonfall, den man wohl eher anschlägt, wenn man Erstklässlern Matheaufgaben stellt. Es war demütigend. „Ich wollte die Katze fangen“, sagte er niedergeschlagen. Sie sah ihn mit durchdringendem Blick an: „Warum wollten Sie meine Katze fangen?“, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

Nuwo schaute betroffen. „Ich wusste nicht, dass es sich um Ihre Katze handelt“. „Verzeihen Sie bitte“, fügte er hinzu.

„Entschuldigung angenommen“, sagte sie, „meine Frage ist damit allerdings nicht wirklich beantwortet.“

Als er weiterhin dumm dreinschaute wiederholte Sie mit Nachdruck: „Warum haben Sie meine Katze fangen wollen?“

Nuwo, der immer noch halb über der Fensterbank hing, schaute auf: „Sie hat ein Puzzleteil von mir.“

„Ah verstehe“, sagte die Frau mit einem Hauch zu viel Verständnis. Nuwo kam sich mit jeder Sekunde dämlicher vor.

„Und dann hat meine Katze das Puzzleteil im Wischeimer versteckt und Sie wollten es gerade herausnehmen als ich hineinkam, liege ich richtig?“

Nuwo verzweifelte langsam. „Nein! Es war doch ein Versehen, dass ich im Wischwasser gelandet bin. Das Puzzleteil hat immer noch ihre Katze!“

„Oh, wie ärgerlich. Dann liegen Sie ja gänzlich umsonst im Wischwasser wie mir scheint“, sagte die Frau mit einem Hauch von Ironie und einem Lächeln, das Nuwo nicht verstand. Er hatte noch nie so viele Dinge nicht verstanden, wie in den letzten Minuten.

Die junge Frau begutachtete den Boden um ihn herum. Auch er schaute sich um. Es war ein schöner Raum, zumindest aus der Perspektive einer Person, die über der Fensterbank hing.

„Es tut mir wirklich leid“, sagte Nuwo, denn etwas anderes viel ihm nicht ein.

„Nun, das lässt sich ja wieder gut machen“, sagte sie, immer noch lächelnd.

Sie half ihm von der Fensterbank, drückte ihm einen Wischer und einen Schwamm in die Hand und verließ freudig den Raum.

Nuwo dachte einen Moment nach. Und dann verstand er, etwas langsam für seine Verhältnisse. Bevor er anfing, sendete er eine Whatsapp an seinen Manager: „Ich glaube, ich habe das Puzzleteil gefunden. Aber es ist anders als ich dachte.“

Dann begann er, patschnass und erschöpft wie er war, den Boden zu wischen.

Und er kannte nicht einmal ihren Namen.

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