Jiol war unruhig. Das kam selten vor, denn er lebte gemeinsam mit mehreren hundert Autos in einer alten Lagerhalle, die so abgelegen von allem anderen war, dass es im Umkreis von 50 Kilometern nichts zur Beunruhigung gab. Um ehrlich zu sein, gab es allgemein sehr wenig in der Umgebung. Manche behaupteten, es gäbe überhaupt gar nichts. Das stimmte jedoch nicht, wie Jiol wusste. Im Süden gab es zum Beispiel den großen Tannenwald, im Osten das leere Feld. Zugegeben, das letztgenannte war einfach nur eine leere Fläche welche sich über viele Meilen erstreckte, doch es war etwas – also war es auch nicht gar nichts. Einst war es mit vielen Gräsern, Blumen und Sträuchern überwuchert gewesen, doch irgendwann war es der Natur zu anstrengend geworden. Das leere Feld eignete sich einfach nicht so gut, um darauf zu wachsen. Viele der Sträucher hatten darum in grauer Vorzeit ihre Früchte gepackt und waren fortgezogen, um ihr Glück anderswo in der Welt zu suchen.
Der Tannenwald hingegen war strategisch besser aufgestellt. Er befand sich an einer Stelle, die von Natur aus hervorragend für Tannen geeignet war. Sie wuchsen praktisch wie von selbst. Eine weitere Besonderheit des großen Tannenwalds waren die Gärtner-Bären. Diese sind biologisch betrachtet dem Braunbären sehr ähnlich, jedoch mit dem feinen Unterschied, dass sie sich auf die Pflege von Tannenbäumen verstehen. Zuweilen sieht man also einen Gärtner-Bären mit einer grünen Gießkanne umher streifen, der aufmerksam Ausschau nach Pflegebedürftigen Tannen hält.
Die dritte Besonderheit des großen Tannenwalds liegt schon in seinem Namen verborgen: Er war groß. Ungeheuer groß. Manche sagen, er sei sogar unendlich. Feldvermesser hingegen sagen, er sei circa 100.000 Hektar groß. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen: Egal was, der Tannenwald war riesig.
In diesem großen Tannenwald lag Jiols Unruhe begründet. Seit Tagen stand er morgens früh auf und schaute dann mehrere Stunden lang erwartungsvoll in Richtung Süden. Es war eine ganze Woche her, dass sich Lobbu auf den Weg gemacht hatte, um einen Weihnachtsbaum zu holen.
Er hatte ihr Bill als Begleitung mitgeben wollen, aber das hatte sie strikt abgelehnt. Lobbu wollte sich alleine auf die Reise machen und dabei würde Bill nur stören. Er konnte es keine 5 Minuten aushalten, ohne mit seinem blauen Blinklicht anzugeben. Amanda die Porschin hingegen hätte sie als Begleitung akzeptiert, doch die war erkältet und musste im Warmen bleiben. So war es gekommen, dass sich Lobbu ganz alleine auf den Weg gemacht hatte. Das war nun eine Woche her.
Jiol schritt auf und ab. Dann hielt er es nicht mehr aus. „Das hätte ich schon vor Tagen tun sollen“, verkündete er den umstehenden Autos. „Ich breche auf, um sie zu suchen.“
Er holte seinen dicken Mantel und schnürte sich die Schuhe fester. Dann rief er Bolla zu sich. „Du musst dich um die anderen kümmern, ich werde eine Weile weg sein. Du weißt ja, was es zu tun gibt. Ach ja, hier, falls etwas Schlimmes passiert.“ Mit diesen Worten reichte er Bolla eine Art Fernbedienung. „Drück einfach den roten Knopf, aber nur wenn wirklich Not herrscht.“
Er klopfte ihm auf die Schulter, winkte den Autos zu und verließ mit wehendem Mantel die Halle.
Bolla sah sich mehr oder weniger Verwirrt um. „Was…was genau ist gerade passiert?“
„Er geht los um Lobbu zu suchen“, schrieb Amanda. Bolla sah auf die Fernbedienung hinab. „Was meinte er damit, ich soll den roten Knopf in Not drücken?“
Amanda zuckte die Rückspiegel: „Keine Ahnung. Wahrscheinlich meinte er, dass du ihn im Notfall drücken sollst, oder?“
Bolla schaute auf: „Aber was kann denn passieren?“
Darauf sagte keines der Autos etwas. Nur der Wind heulte unheilverkündend um die Mauern der großen Halle.
Einige Meilen von der Halle entfernt bahnte sich ein kleines Rinnsal durch die karge Landschaft. Es hatte sich über Jahrhunderte einen Weg hin zum großen Tannenwald gebahnt. Jiol folgte ihm nun, denn es war der einzige Wegweiser. Die Sonne war von Wolken bedeckt und vom Mond oder von den Sternen war noch nichts zu sehen, dafür war es zu früh. Nur das leise fließende Wasser wies ihm die Richtung.
Die Hände hatte er Tief in den Taschen vergraben und die Mütze ins Gesicht gezogen. Mit den schweren Stiefeln hinterließ er trotz des frostenden Bodens Abdrücke in der Erde.
So wanderte er, dem eisigen Wind trotzend, Meile um Meile ohne dass sich irgendetwas an der Landschaft veränderte. Doch dann, gegen Nachmittag, blieb er stehen und blickte in die Ferne. Da war er!
Am Horizont, oder vielleicht noch kurz dahinter, war eine grüne Linie erschienen, die sich weiter erstreckte als er seinen Blick schweifen lassen konnte. Er sah dankbar zu dem kleinen Bächlein hinab. „Auf dich ist Verlass!“ brummte er. Dann zog er die Mütze noch tiefer ins Gesicht und schritt dem aufkommenden Abend entgegen.
In der Halle war es gemütlich warm. Bolla hatte alle Hände voll zu tun. Amanda war nicht die einzige, die erkältet war. Neben dem hohen Regal stand ein von Jiol umgebauter Wasserboiler, in dem Bolla Unmengen Tee aufbrühte um ihn unter den Autos zu verteilen. Er kümmerte sich so gut es ging darum, dass jeder das bekam, was er brauchte. Nur die pokernden Traktoren waren mürrisch auf ihn gestimmt, weil er ihnen kurz nach Jiols Aufbruch erklärt hatte, dass er bei so viel Arbeit keine Zeit dafür hatte, sich um ihr Spiel und ihre Zankereien zu kümmern.
Draußen war ein Sturm aufgezogen. Er war aus dem Norden herangekommen und Bolla befürchtete, dass er auf geradem Wege über die Halle hinweg Richtung Süden ziehen würde, wo Jiol und Lobbu irgendwo waren. Doch was konnte er tun? Um sich abzulenken, vertiefte er sich voll und ganz in die Arbeit und brühte eifrig Tee und werkelte mit Schraubenschlüsseln unter Karosserien und Motorhauben herum. So sehr, dass er kaum bemerkte, wie heftig der Sturm mittlerweile geworden war.
Doch dann konnte er ihn schließlich nicht mehr überhören. Er schien der Halle von Stunde zu Stunde näher zu kommen. Bolla war umher gegangen und hatte die Türen geprüft und anständig verriegelt, auch das Rolltor hatte er mit einer zusätzlichen Sicherung versehen. Der Wind pfiff in immer kürzeren Abständen um die Halle herum.
Unter dessen war die grüne Linie am Horizont in die Höhe gewachsen und der Rand des großen Tannenwalds wurde sichtbar. Jiol war jedes mal aufs neue überwältigt von seinen Ausmaßen. Er hatte das Gefühl, auf ein Nadeliges Gebirge zuzulaufen. Er schritt immer noch an dem kleinen Bächlein entlang, doch als der Wald in der Dunkelheit versank und sich nur noch als Silhouette vor der hinter dicken Wolkendecken untergehenden Sonne abzeichnete, wurde es schwierig, über die unebenen Felder zu gehen. Mehrmals stieß Jiol gegen gefrorene Maulwurfshügel und fiel beinahe in den eiskalten Bach, bevor er schließlich Halt machte, um zu rasten.
„Zeit zum Schlafen“, rief Bolla durch die Halle. „Morgen wird sich der Sturm sicher beruhigt haben.“
Doch das überzeugte niemanden, nicht einmal Bolla selbst. Er hatte das Licht ausgeschaltet und in der Dunkelheit ertönte das Heulen des Winds noch viel lauter.
Jiol saß auf dem Feld und schaute ungeduldig in den Himmel. Jetzt wo er da saß und sich kam bewegte, wurde es schnell kalt. Doch bei der Dunkelheit konnte er unmöglich weiter gehen. Dann endlich erhellte sich seine Mine im plötzlich auftauchenden Schein des Mondes. Jiol stand auf und griff in eine der vielen Manteltaschen. Er zog eine Art Taschenlampe daraus hervor, doch anstand sie einzuschalten klappte er eine Art Spiegelteleskop aus. Er hielt es in den fahlen Mondschein und im gleiche Augenblick erstrahlte die Lampe und beleuchtete seine dunkle Umgebung. Die Lampe schien, auf wundersame Weise, das Mondlicht zu vervielfachen und gebündelt auf den Weg zu lenken. Jiol leuchtete kurz in die Ferne, in der der Wald zu sehen war und schritt dann weiter.
Etwas klirrte. Mit einem Mal wurde es sehr unruhig in der Halle. Auch Bolla schreckte auf. Er eilte zum Lichtschalter hinüber, doch es geschah nichts als er ihn drücke. Verzweifelt klickte er ihn hin und her, doch es blieb dunkel. „Alles gut“, rief er durch die Halle, doch seine Stimme wurde von einem gewaltigen Heulen übertönt. Der Sturm war noch heftiger geworden. Einige der Autos rollten ängstlich auf und ab. „Das war sicher nur ein Fenster, wir sind hier sicher.“
Er klang nicht sehr überzeugend, das wusste er, doch es war das einzige was ihm einfiel. Außerdem versuchte er, sich selbst davon zu überzeugen. „Es gibt sicher irgendwo eine Taschenlampe oder so, dann können wir uns den Schaden anschauen. Er tastete sich hinüber zum Regal und suchte, doch er fand nichts. Zwei aufeinander folgende Windstöße ließen die Halle erzittern. Die Gedanken rasten durch Bollas Kopf. Er brauchte eine Taschenlampe. Einfach nur eine Taschenlampe. Es war sicher nicht schwierig, eine Plane vor das kaputte Fenster zu kleben, dann wäre wieder alles gut. Dann knallte etwas und für einen Moment war die Halle taghell. Bolla sah gerade noch, wie etwas großes, eckiges von der Hallen Decke hinab fiel. Mit gewaltigem scheppern schlug das Stück der Hallendecke auf dem Betonboden auf. Jetzt gab es kein Halten mehr. Die Autos rollten wild durcheinander und Bollerwagen Bill hielt es für angemessen, sein Blaulicht aufleuchten zu lassen. Doch da kam Bolla eine Idee: „Ihr habt doch Scheinwerfer!“ rief er durch die Halle. Das stimmte und im nächsten Augenblick erleuchteten mehrere grelle Frontlichter die Halle. Bolla schaute umher und sah das kaputte Fenster auf der anderen Seite. „Schnell, eine Plane!“
Er lief durch die Halle als ihn Heinrich der Leiterwagen anstupste. „Was ist denn Heinrich“, fragte Bolla. Heinrich antwortete nicht, stattdessen fuhr er schnurstracks hinüber zum hohen Regal. Bolla folgte ihm und verstand: Er sollte sich auf die Hebebühne stellen. Heinrich hob ihn in die Höhe und da sah Bolla es. Vor ihm, in drei Metern Höhe, lag eine alte Plexiglas Scheibe im Regal. Er zog sie hervor und Heinrich ließ ihn wieder hinab. Dann rannte er mit der Scheibe zum kaputten Fenster und drückte sie auf den Rahmen. Einer der Bagger drückte seine Schaufel dagegen, bis Bolla genügend Klebeband gefunden hatte, um sie zu fixieren. Zum Schluss holte er noch einen alten Holzbalken, um sie zu verkeilen. „Das war knapp“ sagte er erleichtert, „wenn einer dieser Windstöße in die Halle gelangt wäre, hätte er in Sekundenschnelle das Dach weggepustet.“
In diesem Moment donnerte etwas gegen das Rolltor und aus den Augenwinkeln erkannte Bolla, dass es sich verbog. Er erstarrte. Was hatte so viel Kraft?
Reglos stand er da, in der einen Hand noch immer die Rolle Klebeband, mit der er kurz zuvor das Fenster notdürftig geschlossen hatte. Das große Rolltor war leicht nach innen gewölbt und die Schienen, in denen es hoch und runter rollen konnte, waren gebogen. Es gab einen weiteren Schlag. Draußen wurden merkwürdige Geräusche laut, die Bolla nicht kannte. Es klang grauenvoll. War das ein gewöhnlicher Sturm? Er brauchte Gewissheit.
Der Wald lag vor ihm. Meterhohe Tannenbäume ragten vor ihm in die Höhe, als Jiol Angesicht zu Angesicht mit dem großen Tannenwald stand. Es war finster. Jiol ließ den Lichtkegel seiner Mondlicht Taschenlampe umher wandern, bis er einen breiten Pfad erkannte, der von besonders hohen Bäumen gesäumt direkt in den Wald hinein führte. Er marschierte los.
Es war ein breiter Weg. Die Schneise war breit genug, um ausreichend Mondlicht für die Taschenlampe einzufangen. Die Gärtner Bären pflegten ihn gut, denn der Weg diente ihnen als Hauptverkehrsstraße durch den Wald. So verging eine Viertelstunde, dicht gefolgt von einer zweiten. Der Wald wurde dichter und dunkler und Jiol zunehmend nervös. Wo mochte Lobbu stecken?
Den Blick auf den Boden vor ihm gerichtet beschleunigte er seine Schritte, bis ihm plötzlich etwas nadeliges ins Gesicht schlug. Er riss die Hände schützend vor sein Gesicht doch im nächsten Moment verlor er das Gleichgewicht und noch mehr Nadeln versuchten durch seinen zum Glück dicken Mantel zu dringen. Er war mit voller Geschwindigkeit in einen riesigen Tannenbaum gelaufen, der mitten auf dem Weg lag. Er rappelte sich auf und befreite sich aus den Ästen. Er machte ein paar Schritte zurück und leuchtete mit seiner Taschenlampe. Tatsächlich: Mitten auf dem Weg lag ein Tannenbaum, so groß das er den ganzen breiten Weg versperrte. verwundert blickte er umher. Es war sehr ungewöhnlich, denn normalerweise ließen die Gärtner Bären nichts auf dem Weg liegen.
Es donnerte lauter und Bolla versuchte, nicht hinzuhören. Konzentrier dich, dachte er. Nur ein wenig Sturm, der sich sicher gleich beruhigt. Sprosse für Sprosse kletterte er die Leiter von Bollerwagen Bill hinauf. Er versuchte mit aller Kraft, nicht auf das Heulen und Donnern zu hören. Dann war er endlich oben. Bill hatte seine Leiter zu den oberen Fenstern im Rolltor gedreht, damit Bolla hindurch nach draußen sehen konnte. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren: Dort draußen, auf der weiten Ebene vor der Halle, waren riesige Ungetüme, die langsam auf die Halle zu steuerten. Es waren Windräder. Gewaltige Windräder, die mit ihren Flügeln Windböen durch die Luft jagten und langsam über die Felder Schritten. Das kann nicht sein, dachte Bolla verzweifelt. Windräder können nicht gehen. Doch seine Augen zeigten ihm etwas anderes.
Dann wurde es mit einem Schlag dunkel in der Halle. Bolla schnellte herum und rutschte die Leiter hinunter, als sich vor ihm das Tor, von einem schaurigen Schlag getroffen, aus den oberen Angeln riss. Die Scheinwerfer der Autos waren allesamt aus. „Was macht ihr denn?“ rief Bolla in die Dunkelheit. „Ich brauchte Licht! Das ist ein Notfall!“
Er hatte das letzte Wort gerade über die Lippen gebracht, als es ihm wieder einfiel: Die Fernbedienung!
Er tastete um sich und kletterte an der Seite von Bollerwagen Bills herunter. Er machte einen Schritt nach vorne und stieß mit seinem Knie gegen etwas hartes. Wie sollte er in dieser großen Halle etwas finden, wenn er nicht einmal Licht hatte?
„Ich brauche Licht!“ rief er verzweifelt, doch offenbar brachte vor lauter Angst keines der Autos ein Leuchten zustande. Dann blitzte etwas blaues auf. Bolla schaute sich um: Bollerwagen Bill hatte sein Blaulicht angeschaltet und tauchte die Halle in blinkendes blaues Licht. Bolla hastete durch die Halle hindurch zur Fernbedienung. Er drückte den roten Knopf.
Jiol wurde plötzlich von einem grellen Licht geblendet. Er kniff die Augen zusammen. Unter dem Tannenbaum leuchtete etwas hervor. „Lobbu?!“ rief er erstaunt. Als Antwort blendete das Licht kurz ab. Jiol kämpfte sich am Wegesrand neben dem liegenden Baum entlang. Dann sah er sich. Unter dem gigantischen Tannenbaum war Lobbu, vollkommen festgefahren. Jiol klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Zähne und stemmte die Tonnenschwere Nadelwucht etwas in die Höhe, sodass Lobbu rückwärts darunter wegfahren konnte. Dann lies streifte er am Rand entlang zu ihr auf den Weg. Auf dieser Seite des Weges war eine kleine Lichtung, an der ein kleines Schild angebracht war. Es laß: „Weihnachtstannenbäume aus eigener Weihnachtstannenbaumzucht“
Daneben lagen mehrer Tannenbäume und an einem kleinen Häuschen saß ein Gärtnerbär. Er trug eine Weihnachtsmütze und schaute unbeteiligt. Jiol wandte seinen Blick zu Lobbu: „Warum hast du denn ausgerechnet dieses Monstrum hier gekauft?“
Lobbu blickte zu Boden. Auf ihrem Nummernschild schrieb sich: „War im Angebot.“
Jiol schüttelte den Kopf. „Den müssen wir doch in der Mitte einmal durchsägen, damit er überhaupt in die Halle passt!“
Er hatte Recht. Der Tannenbaum war gut und gerne 50 Meter lang und es war kein Wunder, dass Lobbu nicht weiter als etwa 3 Meter damit gekommen war. „Naja, gekauft ist gekauft“, sagte Jiol schließlich, „ich schätze mal, zu zweit können wir ihn transportieren.“
Die Fernbedienung ließ ein rotes Licht, wie das einer Alarmanlage, durch die Halle erscheinen. Zusammen mit dem blauen Warnlicht wirkte es noch einschüchternder. Dann ertönte eine Sirene. Sie heulte noch lauter als der Wind und Bolla hielt sich die Ohren zu, als in der Mitte der Halle ein Stück des Bodens hinab sank. Bolla glaube seinen Augen nicht zu trauen. Ein Teil des Betonbodens kippte schräge in die tiefe, sodass eine Art Rampe entstand, die unter die Halle führte. Bolla ging vorsichtig darauf zu und blieb dann ruckartig stehen: Wie aus einer Tiefgarage fuhren, einer nach dem anderen, Hausgroße Bulldozer hervor. Die Autos wichen wie von selbst vor ihnen zurück. Der erste steuerte auf das große Rolltor zu und Bolla klappte der Mund auf, als er einfach hindurch fuhr. Das Tor gab nach, wie eine Hafenwand, die von einem nicht rechtzeitig gebremsten Containerschiff eingedrückt wird. Einer nach dem anderen fuhren die Bulldozer hinaus. Die schweren Ketten rasselten als sie wie eine Armee auf die Windräder zudonnerten.
Durch das zerstörte Tor drang rasender Wind in die Halle und Bolla musste sich immer wieder festhalten, als er auf das Tor zuging. Der Wind blies ihm so stark entgegen, das er befürchten musste, bei einer der Böen einfach rücklings durch die Halle geschleudert zu werden. Dann endlich erreicht er sein Ziel und schaute nach draußen.
Die unheimlichen Windräder glitten stetig auf die große Halle zu. Drei von ihnen hatten sich einander zugewandt und bewegten sich merkwürdig. Dann erkannte Bolla, was vor sich ging: Sie erschufen einen Tornado. Erfolgreich. Die Windhose dröhnte laut und stürmte über die eisigen Felder auf die Halle zu. Bolla sprang zu Seite, als der Wirbelwind geradewegs auf ihn zukam. Dann verlor die Halle ihr Dach. Bolla sah die Sterne und in ihrem Licht die wegfliegende Stahlkonstruktion. Der Tornado riss sie einfach mit sich fort.
Bolla richtete seinen Blick wieder auf die Windräder und was er sah ließ ihn vor Spannung den Atem anhalten: Die Bulldozer Kolonne war bei den Windrädern angelangt. Der Wind hatte keine versuchte mit aller Kraft, sie aus der Bahn zu werfen, doch sie rollten stur weiter. Als der erste von ihnen die unheimlichen Wind Maschinen erreicht, riss er sie glatt von den Füßen. Wie in Zeitlupe fiel der lange Turm zu Boden. Auch die anderen Bulldozer gingen auf die Windräder los. Eine nach der anderen gingen die Windräder zu Boden, bis keine mehr stand. Der Wind verebbte so plötzlich, dass die Stille in Bollas Ohren dröhnte. Dann flammten die vielen hundert Scheinwerfer auf und Bolla sah sich in der Halle um. Wie durch ein Wunder waren alle heile geblieben.
Die Bulldozer waren zurückgekehrt und wurden mit einem Konzert aus Hupen und wahllos aufgedrehten Autoradios empfangen. Bolla verteilte Tee und weitere Schals, denn ohne Dach wurde es Kalt in der Halle. Bolla war gerade am Kessel beschäftigt, als ein grüner Geländewagen an den anderen vorbei aus der Halle rollte. Ihm folgten mehrere der Traktoren und noch ehe Bolla ihnen nachgehen konnte, um zu schauen was sie anstellten, kamen sie mit mehreren Anhängern voll Brennholz wieder. Offenbar hatte Jiol einen Vorrat neben der Halle gehabt, den sie nun gänzlich ausgeräumt hatten. Bolla entzündete mehrere Lagerfeuer in der Halle und schließlich wurde es warm in der Halle.
Da hörte Jiol eine vertraute Stimme vom Eingang her: „Schau mal Lobbu, ich glaube wir müssen den Tannenbaum gar nicht durchsägen. Wir haben eh kein Dach mehr.“
Bolla sah auf. Jiol und Lobbu kamen durch das Tor und transportierten einen grünen Wald. Bei einem zweiten Blick erkannte Bolla, dass es kein Wald war den sie trugen, sondern einfach ein ungewöhnlich großer Tannenbaum. Die Autos waren begeistert: „ Endlich mal ein anständiges Modell! Zum Glück haben wir eine Hebebühne zum Schmücken.“
Es war ein kompliziertes Manöver, den gewaltigen Nadelbaum aufzustellen, doch am Ende standen sie alle ringsherum und betrachteten ihr Werk. Der Berg von einem Baum ragte Meterweit aus der Abgedeckten Halle heraus und strebte dem Nachthimmel entgegen. Die Lichterkette reichte nur für die ersten Fünf Meter, doch das störte niemanden. Bolla ging um den Baum herum und plötzlich nahmen seine Ohren ein Geräusch war. Er brauchte eine Weile, bis er erkannte, dass eines der Autos noch leise das Radio angeschaltet hatte. Er spitzte die Ohren und hörte den Moderator. Er traute seinen Ohren nicht, doch dann rief er: „Ach du meine Güte! Wir brauchen einen Kalender hier, sonst verpassen wir ja alles. Heute ist schon Weihnachten!“
Zu lang.
Opa