Ein Boot schaukelte auf und ab, so als ob die Wellen Gefallen daran fänden, es sich gegenseitig zuzuspielen. Lustige Geschöpfe, diese Wellen. Ob sie natürlich wirklich Spaß daran haben, Boote hin und her zu schubsen, bleibt ungewiss. Sie verraten es nicht. In ihrem Schweigen bewahren sie nämlich die Geheimnisse des Meers. Letzteres war pechschwarz und dunkle Wellen versuchten ein ums andere Mal in das Boot hineinzuklettern. Es war fast Nacht.

„Komische Sache“, brummte Derwin. Er saß am Bug des Fischerbootes und trommelte ganz gedankenverloren auf dem Holz herum. „So eine komische Sache gibt’s nur ganz selten.“
Drummel sah ihn fragend an: „Was meinst du?“
Drummel half Derwin beim Fischen und war oft mit ihm unterwegs. „Schau mal nach oben“, sagte Derwin. Das tat Drummel und eine ganze Weile lang schaute er in den dunklen Himmel. „Und jetzt?“ fragte er, den Kopf immer noch weit in den Nacken gelegt um möglichst viel vom Himmel zu sehen. „Schau genau hin“, sagte Derwin, „was siehst du?“
Drummel sah ganz genau hin. So genau, dass ihm die Augen wehtaten. „Nicht viel“, sagte er schließlich, „ich seh Wolken und so, aber die sind doch nicht komisch, oder?“
Derwin brummte. „Warte noch einen kleinen Augenblick, gleich merkst du‘s.“
Drummel wartete. Weit hinten sank die Sonne über die Linie, die den Tag von der Nacht trennte. Und dann sah Drummel nichts mehr. „Und, siehst du’s jetzt?“ fragte Derwin. „Ich seh überhaupt nichts mehr“, erwiderte Drummel. „Genau,“ sagte Derwin, „die Sterne sind nämlich weg. Alle auf einmal.“
Und dann erst erschrak Drummel: „Du hast Recht! Es ist viel dunkler als sonst.“
Er betastete vorsichtig den Holzboden, auf dem er saß. Er spürte eine Panik in sich aufsteigen. Es war unangenehm, überhaupt nichts sehen zu können. „Bist du noch da?“ fragte er in die Dunkelheit. „‘türlich“, brummte Derwin. „Wenn ich ausgestiegen wäre, hättest du’s platschen gehört.“
Das leuchtete ein, brachte aber trotzdem kein Licht ins Dunkel. „Haben wir eine Kerze?“ fragte Drummel. „Nö“, sagte Derwin, „ich hab nicht damit gerechnet, dass heute die Sterne verschwinden. Passiert nicht oft, musst du wissen.“
Drummel tastete auf dem Holzboden um sich herum, um sich zu vergewissern, dass das Boot noch da war. Trotzdem fragte er: „Ist das Boot noch da?“
„Sitzt du im Trockenen oder im Wasser?“ fragte Derwin zurück. „Im Trockenen“, sagte Drummel, nachdem er den Sachverhalt ausgiebig geprüft hatte. „Ja ich sitze im Trockenen.“
„Dann ist das Boot noch da“, sagte Derwin. Drummel war etwas beruhigt, aber nicht für lange. „Wo können sie denn hin sein?“ fragte er aufgeregt. Darauf sagte Derwin nichts. Drummel stand auf, mit einigen Mühen, denn es war schwierig in der Dunkelheit das Gleichgewicht auf dem schaukelnden Boot zu halten. Er stolperte erst über ein Netz und dann über seine eigenen Füße. „Was machste denn für einen Radau?“ fragte Derwin vom Bug aus. „Ich schau mich mal um“, antwortete Drummel und ging in die Richtung, in der er die Reling vermutete. „HALT“, rief Derwin, plötzlich mit ganz veränderter Stimme, „bleib da wo du bist!“
Drummel hielt kurz inne, setzte dann aber seinen Weg fort: „Ich fall schon nicht ins Wasser!“ sagte er. „Darum geht es nicht“, rief Derwin aufgebracht. In diesem Moment erreicht Drummel die Reling und der Mund klappte ihm vor Erstaunen auf: Dort, von weit unten, schienen Lichter unter der schwarzen Wasserdecke. In verschiedenen Farben und Größen tanzten sie umher. „Oh schau dir das mal an!“ sagte er zu Derwin. „Komm da weg!“, befahl Derwin. „Warum? Komm her und schau’s dir an!“
Und in diesem Augenblick sah Drummel, warum ihn Derwin zurück rief. Er erschauderte, als er eine grauenvolle Silhouette vor den Lichtern schwimmen sah. Andere kamen dazu, riesige Kraken trieben durch das tiefe Wasser. In diesem Moment wurde Drummel unsanft am Arm gepackt und zurück gezogen. „Hoffentlich haben sie dich nicht gesehen!“ sagte Derwin wütend. „Sie können uns nicht hören, aber sie sehen es, wenn Fischer über die Reling blicken. Sie verharrten regungslos. „Was machen wir jetzt?“ fragte Drummel. „Wir warten auf Huwander“, sagte Derwin.
Er hatte kaum fertig gesprochen, da kratzte etwas an der Unterseite des Bootes entlang und Drummel stellten sich die Nackenhaare auf. Das Wasser um sie herum wurde unruhiger, die Wellen schienen von anderen Dingen als dem natürlichen Wogen des Ozeans herzurühren.
Viele Jahrhunderte zuvor
„Genau hier soll er hin!“ sagte Huwander zufrieden. Die anderen sahen ihn verdutzt an. „Aber hier ist doch gar keine Küste?!“ sagten sie. „Na und? An den Küsten stehen ja auch genügend. Aber hier draußen ist kein einziger. Wird also mal Zeit, oder?“
Die Mannschaft, wenn auch nicht überzeugt, machte sich an die Arbeit. Ihr Schiff hatte einen beachtlichen Haufen buntes Blech geladen und lag einem kleinen Felsen gegenüber. Ringsherum gab es nichts, außer den Horizont in weiter Ferne. Der Felsen lag mitten im Meer.
„Auf, auf!“ rief Huwander und klatschte in die Hände.
So arbeiteten sie zwei Wochen lang, sogar Nachts im Sternenlicht. Dann waren sie fertig. Huwander stand mit einem der Männer an Deck und besah das Werk. „Ich verstehe immer noch nicht…“, sagte der Mann. „Keine Sorge“, sagte Huwander, „irgendwann sind alle froh, das wir ihn gebaut haben!“
Am Ende verabschiedeten sie sich voneinander und die Seeleute fuhren zurück in ihre Heimat. Huwander winkte ihnen nach.
Viele Jahrhunderte später
„Wer ist Huwander?“, fragte Drummel, als erneut etwas am Rumpf entlang schabte. „Weiß ich nicht genau“, antwortete Derwin, „hab ihn niemals kennen gelernt. Aber ich hab gehört, man soll auf ihn warten, wenn die Sterne ausgehen.“
Drummel wollte etwas erwidern, doch das Boot tat einen gewaltigen Ruck und Drummel landete rücklings auf dem Holzboden. „Wie lange ungefähr muss man auf Huwander warten?“ fragte er keuchend. „Weiß nicht“, schnaufte Derwin, den es ebenfalls von den Füßen gerissen hatte. Da drückte etwas gegen Drummels linken Schuh. „Bist du das?“ fragte er in die Dunkelheit. „Bin ich was?“ fragte Derwin. Drummel schwieg. Etwas schlang sich langsam um seinen Fuß und tastete umher. In diesem Moment explodierte etwas. Zumindest glaubte Drummel das, denn es wurde schlagartig so hell, dass er die Hände vor die Augen schlug. Gerade noch konnte er erkennen, wie etwas schwarzes von seinem Schuh zurück in‘s Wasser verschwand und seinen Fuß wieder freiließ.
„Was ist das?“ rief er. „Wahrscheinlich Huwander“, erwiderte Derwin. „Du kannst übrigens die Hände wieder aus dem Gesicht nehmen. Siehst sonst etwas dämlich aus.“
Drummel wagte einen Blick. Das Licht schien jetzt angenehmer, denn seine Augen gewöhnten sich daran. Jetzt sah es eher so aus, wie ein Sonnenuntergang. In der Ferne schwebte eine Leuchtende Kugel über dem Wasser. „Huwanda ist also eine leuchtende Kugel?“ fragte Drummel erstaunt. „Nö“, antwortete Derwin. Dann drückte er Drummel ein Ruder in die Hand. „Auf gehts.“
Sie lenkten das Boot in Richtung des leuchtenden Balls. Schleppend langsam kamen sie ihm näher. Derwin grinste plötzlich: „Schau dich mal um.“
Drummel schaute sich um und zum hundertsten mal an diesem Abend staunte er nicht schlecht. Offenbar waren sie nicht die einzigen. Er sah viele Dutzend Boote und Schiffe auf das leuchtende Ding zusteuern. Und dann, nach ewig langem Rudern, erkannte Drummel was da leuchtete: Mitten im Meer ragte ein Felsen aus dem Wasser und darauf stand ein feuriger Leuchtturm. Drummel staunte erneut und er fragte sich, ob er jemals so oft hintereinander gestaunt hatte. Mittlerweile, so dachte er, bin ich richtig gut darin.
Von allen Seiten her versammelten sich Boote und Schiffe um den Leuchtturm, Derwin und Drummel waren ganz vorne. Unten vor der Leuchtturm Tür stand jemand.
„Ach, jetzt verstehe ich wer Huwanda ist“, sagte Drummel. Er staunte schon wieder.
Der jemand vor der Tür schaute zu den vielen Schiffen herüber. „Gut, dass ihr alle da seid!“ rief er.
Das leicht rot-orangefarbene Licht glitzerte auf der Wasseroberfläche. „Da sind doch tatsächlich die Sterne ausgegangen“, sagte er. Die anderen Leute auf ihren Booten nickten. „Das ist ganz schön gefährlich“, sagte er nachdenklich, „zum Glück hab ich aufgepasst.“
Wieder nickten die Leute. Dann geschah eine ganze Weile gar nichts.
„Ich weiß nicht genau, wann die Sterne wieder angehen, aber ich kann ja nicht das Wohl und Wehe von allen Seeleuten auf eine Karte setzen, nein, nein, das kann ich nicht…“
Er schien mehr mit sich selbst zu reden, als mit den Versammelten. „Viel zu Riskant…vielleicht vergess‘ ich mal, den Schalter zu drücken…würde mir natürlich nie passieren..“
Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen und Drummel sah, wie Huwander offenbar intensiv nachdachte. „Wunderbare Idee, ganz fantastisch!“ rief er plötzlich. Die anderen sahen verwirrt aus. „Komm du mal mit Junge“, sagte er und deutete auf Drummel. Der versuchte diesmal sein Erstaunen etwas zu verbergen und stolperte zum Bug hinüber. Derwin lenkte das Boot ganz nah an den Felsen und Drummel sprang hinüber. Er folgte Huwander hinauf in den Leuchtturm. Auf halbem Weg kamen sie an einem kleinen Raum vorbei. Huwanda öffnete die Tür. Dahinter stapelten sich bis zur Decke alte Zwieback Kartons. Huwanda sah ein wenig ertappt aus. „Ich esse…recht gerne Zwieback. Hin und wieder mal einen…manchmal auch zwei.“
Er stotterte ein wenig vor sich hin, bis er sagte: „Bring sie bitte alle mit nach oben.“
Mit diesen Worten verschwand er auf der schmalen Wendeltreppe. Drummel, der aus versehen schon wieder gestaunt hatte, versuchte so viele Kartons wie möglich auf seine Arme zu laden und ging Stufe für Stufe die Wendeltreppe hinauf. Oben werkelte Huwanda an einem riesigen Leuchtapparat herum. Er zog an Kabeln und schließlich kam hinter einer Klappe ein kleiner Wasserhahn hervor. „Ich habe diese Funktion des Leuchtturms noch nie ausprobiert, ich weiß nicht genau wie sie funktioniert, aber ich denke..ja, so müsste es gehen!“
Er drehte an einer verrosteten Schraube. Da leuchtete etwas Licht aus dem Wasserhahn und Huwanda nahm einen der Kartons und hielt ihn rasch darunter. Der Zwieback Karton füllte sich mit Licht und als er randvoll war, klappte Huwanda den Deckel zu. „Nimm ein paar der Kartons, auf der anderen Seite ist auch ein Lichthahn glaube ich.“
Drummel ging um die Leuchtapparatur herum und schob ein Blech zur Seite. Er brauchte ein wenig länger als Huwanda, doch schließlich funktionierte es. Karton für Karton füllten sie das Leuchtturm Licht ab. Drummel holte noch mehr Kartons aus dem Raum an der Treppe. Schließlich hatten sie einen ganzen Berg von Kartons mit dem rot-orangenen Licht gefüllt.
Sie hatten die Schrauben wieder zugedreht und standen vor dem Kartonhaufen. Huwanda schaute etwas nachdenklich: „Nun, ich scheine echt viele Zwiebacke zu…nunja, lassen wir das.“
Unten verteilten sie die Kartons, bis wirklich jedes der Boote einen hatte. Nach und nach verteilten sich die Schiffe in alle Himmelsrichtungen, bis nur noch Derwin und Drummel dort waren.
Drummel kletterte vom Felsen zurück auf‘s Schiff. Sie bedankten sich als plötzlich Drummel aufsah und rief: „Schaut mal!“ Huwanda und Derwin blickten in die Richtung, in die er zeigte. „Tatsächlich!“ sagte Huwanda.
„Nen Stern!“ sagte Derwin.
„Nun, dann werden bald wohl auch die anderen wieder zurückkehren. Aber falls sie nochmal verschwinden, haben wir ja etwas Licht verteilt.“ Huwanda schaute zufrieden. „Wo wir gerade dabei sind“, sagte er und wirkte fast ein wenig nervös, „habt ihr zufällig etwas Zwieback an Bord? Seitdem ich hier bin, es ist vielleicht wenige Hundert Jahre her, sind meine Vorräte doch etwas knapp geworden.“
Vorlage für das Titelbild: Markus Jastroch, CC BY-SA 3.0 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/, via Wikimedia Commons
voll schön geschrieben…
poetisch…