Maurice 1

Die Welt ist Gelb und riesengroß. Maurice stand auf ihr drauf, einen Stab in der Hand. Eine Gruppe hatte sich versammelt, allesamt mit scharfgestellten Ohren. Niemand wollte ein Wort verpassen.

Ein gelber Sessel.

„Ich war dort“, erzählte seine Stimme, „und wir sind schon lange hier. Zu lange, um ehrlich zu sein.“

Jeder schwieg und alle wiegten die schwere Entscheidung in ihren sehr kleinen Köpfen ab. Reisen sind immer gefährlich, egal welche Sorte. Trotzdem reiste man und viele ahnten, dass sich wohl ein Gesetz hinter dieser Tatsache verbarg.

„Wisst ihr“, unterbrach seine Stimme die Stille, „ich habe dort unten Krümel gesehen.“

Nach einer mit Spannung gefüllten Ewigkeit, trat endlich eine kleine Lawine aus Zustimmung ins Rollen; Glücklicherweise, denn damit hatte er gerade seinen letzten Triumph ausgespielt.

„Dann beginnt die Reise also?“, fragte Maurice, um dem Entschluss einen Hauch von offizieller Würde zu verleihen. Sie nickten einstimmig.

Kurz darauf:

„Wo ist mein Stock?“ rief Madame Wetter.

Mit ängstlicher Untergebenheit reichte Mo der betagten Madame ihren Stock und machte sich auf, den anderen mit den Seilen zu helfen.

Jeder war mit einer der Aufgaben beschäftigt, auch um sich von der Angst vor dem kommenden abzulenken. Dann begann die Reise, in jenem unauffindbaren Moment, in dem das Unbekannte das Gewöhnliche aus der Zukunft drängt.

Es waren 15 kleine Männchen, allesamt mit sonderbarer Ausrüstung bepackt. Weit hinten waren Mo und So, die aufgeregt miteinander redeten. Vorne ging Maurice, dicht gefolgt von Madame Wetter.

„Ich war noch ein Kind, als ich das letzte Mal am Rand war“, erklang Madame Wetters scharfe Stimme. „Wie war es?“ fragte einer der jüngeren, der einen großen Haken trug. „In erster Linie ist es gefährlich“, sagte Maurice von vorne, „aber auch wunderschön.“

„Damals war es nur gefährlich“, warf Madame Wetter ein. „Es sei denn, man findet grausige Abhänge schön“, fügte sie verächtlich hinzu. „Du hast der Sache zugestimmt“, erinnerte sie Maurice. „Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich die Idee für absurd halte!“ fuhr sie ihn an, doch er überhörte sie und drehte sich zur Gruppe um: „Wir sind gleich da, höchstens noch 2 Minuten. Dann können wir eine Pause machen und den Abstieg vorbereiten.“

Nachdem er sich im Gehen wieder nach vorne gewandt hatte, spürte er die Aufregung der Gruppe sowie den Stock von Madame Wetter im Rücken: „Hast du genug Essen für den Abstieg eingeplant? Unten gibt es ja angeblich Krümel, aber wenn wir beim Abstieg verhungern bringt uns das nichts!“

Er ignorierte sie, beschleunigte sein Tempo und schritt mutig voraus, dem Horizont entgegen. Der Rand, wie sie ihn nannten, war etwas höher gelegen. Er war gesäumt und im Boden waren gewaltige Nieten eingelassen. Dort angelangt stärkten sie sich am Proviant, bereiteten die Seile vor und ließen Madame Wetters Kritteleien und böse Voraussagen über sich ergehen.

Ganz am Rand stand Mo und blickte ehrfürchtig in die Tiefe.

„Maurice sagt, wir sollen das schonmal befestigen.“ Mit diesen Worten setzte So einen der größeren Haken vor ihr ab und wagte ebenfalls einen Blick in Richtung Boden.

Der Saum war recht fest, doch mit etwas Mühe ließ sich der Haken durch eine grobe Masche stechen. Dann kamen vier der anderen und brachten das erste Seil. Mo nahm es und fädelte es sorgfältig in den Haken. Weitere brachten das zweite Seil und schließlich brachten Maurice und einer der älteren eine sogenannte große Bürok. Als schließlich Madame Wetter an den Rand trat, standen Mo und So etwas abseits und betrachteten die Arbeit der anderen.

Erst sagten sie nichts. Dann öffneten sie beide den Mund, doch So war wie immer schneller: „Wird es besser sein, dort unten?“

Mo, der dasselbe fragen wollte, überlegte. Die letzte Zeit war nicht gerade lustig gewesen, ohne Essen und ohne Schutz vor dem Sprüher. Maurice war auf Erkundungstour gegangen, um nach Nahrung zu suchen, wie er gesagt hatte. Niemand hatte von seinem wahren Plan gewusst: Er war den großen Hang hinabgeklettert und war auf dem Boden gewesen. Anfangs hatten sie viel zu viel Angst, doch als Nahrung knapper wurde, stimmten sie seiner Idee zu, zum vielversprechenden Boden zu reisen.

„Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Boden besser ist als alles hier oben. Aber keine Speise der Welt wird uns fröhlich machen, wenn wir nicht vollzählig unten an..“ seine Stimme brach ab. Auch So schluckte. Bei allen Problemen, die sie zuhause hatten und bei allen Dingen die der Boden versprach, war der Abstieg trotzdem eine unberechenbare Gefahr.

„Versprich mir, dass Du heile unten ankommst“, flüsterte So. Sie zitterte.

„Ich verspreche Dir, dass wir beide heile ankommen“ erwiderte Mo und bezahlte all seinen Mut und Optimismus für das bisschen Zuversicht, dass er in seine Worte legte. Das merkte So und drückte seine Hand fest. „Wo bleibt ihr denn alle?“ schoss die Stimme von Madame Wetter durch die Luft.

Sie versammelten sich an der Apparatur, die jetzt fertig aufgebaut war. Jeder legte einen der Gurte an, die sie zuhause angefertigt hatten. Einer nach dem anderen klinkten sie sich an die Ösen im ersten Seil und zogen eine Schlaufe durch das zweite. Maurice, bereits fertig angegurtet, befestigte die Proviantbeutel an einem eigenen Haken.

Dann wurde es noch einmal still und jeder schaute Maurice an. Er wollte zu einer motivierenden Ansprache ansetzen, doch Madame Wetter kam ihm zuvor: „Es würde mich wundern, wenn alle heile ankommen, aber lasst uns wenigstens vor Sonnenuntergang mit dem Abstieg beginnen!“ und mit diesen taktlosen und pessimistischen Worten rutschte sie über den Saum, bis sie frei über dem Abgrund baumelte. Die anderen folgten. Die beiden Zieher zogen fest am Seil, die Treter hielten ihre Nadeln bereit. Diese mussten sie, so war es besprochen, in regelmäßigen Abständen in die gelbe Wand des Abgrundes stechen. Danach konnten die Seiler Büroks daran befestigen, um die Kletterseile weiter nach unten zu lassen.

Der Abstieg begann.

Teil 1 von 2.

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