Feine Leute

„Ah ja, der Herr von Flodwig! Einen ganz angenehmen Abend wünsche ich ihnen, welch eine Freude!“

Bitte recht vornehm!

Mit zwei Fingern hob er den Bowler um einen Hauch in die Höhe und deutete ein Kopfnicken an. Sehr vornehm. Und sehr dämlich.

Herr von Flodwig war ganz entzückt: „Ach nein, die Freude ist ganz meinerseits! Soll sich die abendliche Stimmung ganz wohltuend auf Ihr Gemüt auswirken! Herr von Stapelien, wie sehr ich mich freue!“

Auch er hob seine Kopfbedeckung feierlich an. Von den anderen Leuten wurden sie kaum beachtet. Eilig auf dem Weg, noch ein paar wenige Einkäufe zu machen, strömten sie an ihnen vorbei. Vom unteren Ende der kleinen Einkaufsstraße von Little Molg kam Herr Dr. Klügel auf die beiden zu. Er war noch vornehmer als die anderen beiden.

Mit Schuhen, die im Lichte der ersten Laternen seicht glänzten, trat er auf die beiden zu. Einen guten Meter vor ihnen blieb er abrupt stehen, legte eine Hand an den Regenschirm, der an seinem Unterarm hing und deutete zwei dezente Verbeugungen an, die eine in Richtung des Herrn von Stapelien, die andere dem Herrn von Flodwig zugewandt. „Meine wohl teuersten Freunde! Ein herrlicher Abend wie der heutige passt wohl ganz vorzüglich zu solch toller Gesellschaft!“

Herr von Flodwig und der Herr von Stapelien hoben erneut ihre Hüte und nickten vornehm.

„Ich möchte meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass sie noch nicht lange auf mein Erscheinen warten?“

„Nein, nicht doch, nicht doch! Wiewohl, keine Minute stehen wir hier, möchte ich meinen.“

„Machen sie sich bloß keinen Kopf“, fügte der Herr von Flodwig mit einem fixen Blick auf seine Armbanduhr hinzu. „Ich selbst konnte den Herrn von Stapelien nur gerade eben begrüßen, da sah man sie schon eilen!“

Das beruhigte den Herrn Dr. Klügel. Hätte er seine werten Freunde warten lassen, nein, das wollte er sich gar nicht ausmalen. Der Abend wäre wohl sehr ungünstig gestartet. Er freute sich sehr über die Beteuerungen der anderen beiden, er sei pünktlich erschienen.

„Meine Herren von Stapelien und Dr. Klügel, der Weg zum Restaurant scheint mir nun angebracht, nicht wahr?“

Der Herr von Stapelien hob den Hut und nickte zustimmend. Auch Dr. Klügel war natürlich ganz der Meinung des Herrn von Flodwig. „Dann soll uns nichts mehr aufhalten!“

Zu dritt schritten sie die kleinen Straßen der Stadt entlang. Dann standen sie vor dem Restaurant der Wahl: Le restaurant avec la louche à soupe

Es war das größte Restaurant der Stadt. Es war sehr vornehm und hatte genauso viele Sterne wie Tische, nämlich Vierzehn.

Vor der Tür gab es ein kleines Geländer, dieses war mit gusseisernen Krabben verziert. Ebenfalls sehr vornehm. An der Tür wartete ein Angestellter in Uniform. Er schaute auf die Gegenüberliegende Straßenseite und zeigte übertriebenen Stolz. Das war seine Aufgabe. Als sich die drei Gäste näherten trat er elegant zur Seite und öffnete die große Tür. Mit einer angedeuteten Verbeugung hieß er sie ganz wunderbar willkommen. Sie traten ein und eine Welle aus klimpernden Gläsern, Worten und höflichem Kichern umhüllte sie. Es war eine ganz fantastische Stimmung. Kellner eilten umher und jemand saß am Piano Noir um die Gäste um leise Musik zu bereichern.  

Die Jacken wurden ihnen abgenommen und Dr. Klügel gab seinen Regenschirm ab, jedoch nicht, ohne der Dame an der Garderobe die entsprechenden Pflegehinweise zum guten Schirm zu geben. Er vertraute den Leuten nie ganz, wenn es um die Verwahrung seines Schirms ging.

Dann folgten sie einem der Kellner zu ihrem Tisch, der fast ganz in der Mitte des großen runden Saals stand. Auf den Tisch stellte er eine Eisgekühlte kristallene Flasche. Dazu verteilte er drei Gläser mit den Worten: « Monsieurs, eine Selbstverständlichkeit aus der Küche; Eisgekühltes L’eau du robinet » 

Sie bedankten sich mit einem höflichen Kopfnicken. „Eine Französische Spezialität“, sagte Dr. Klügel. Sie nahmen sich, jeder ein winziges Schlückchen. „Man möchte ja nicht gierig wirken“ merkte Herr von Fodwig an. Dann kam ein Kellner und brachte drei sehr große Karten in weißem Umschlag. Wirklich sehr groß. DinA 3. Mit einer Verbeugung verteilte er sie an die drei. Dann nahm er die Getränkewünsche auf: Drei Bière de la bouteille.

Endlich lehnten sie sich in ihren exquisiten Sitzmöbeln zurück. In die Lehne war jeweils ein kochender Hummer als Ornament eingearbeitet. Sehr unbequem, aber sehr vornehm. In einvernehmlicher Gesprächspause blätterten sie die Karte auf. Sie sahen sich ja sowieso nicht, die großen Speisekarten ragten wie Trennwände vor ihnen auf. Es gab exakt eine Seite. Mehr brauchte es bei der Größe auch nicht. Sie war in die sieben Bereiche Vorspeise, Hauptgang 1, Hauptgang 2, Hauptgang 3, Hauptgang 4, Hauptgang 5 und Dessert aufgeteilt.

Nach einer Weile nahm jeder von ihnen sein Notizbuch und notierte sich seine persönliche Wahl. So viel Gänge konnte man schließlich nicht auswendig aufsagen. Der Kellner trat an den Tisch und reichte die bestellten Getränke. Dann nahm er die Bestellungen auf. Das dauerte eine Weile bei so vielen Gängen, doch eine gute Viertelstunde später waren sie durch. Der Herr Dr. Klügel hatte noch ein paar wenige Extrawünsche zu äußern gehabt. „Die Krabbe agréable à travers, bitteschön.“

Der Kellner nickte gewissenhaft: „Oui monsieur.“

Dann warteten sie eine Stunde.

Während dieser Zeit spielten sie Karten und genossen die herrliche Atmosphäre. Um kurz vor neun wurde am Nachbartisch ein Antrag gemacht. Der nervöse Jüngling präsentierte einen sehr schönen Ring, den er in einer Kaviardose versteckt hatte. Sie freute sich sehr und mit ihr das gesamte Restaurant. Der Pianist spielte La Fille aux cheveux de lin von Debussy und in der Küche wurde ein lebendiger Hummer in kochendes Wasser geworfen. Eine feine Gesellschaft.

Dann erschien das Essen. Die drei Teller waren so groß, dass sie kaum auf den Tisch passten. Herr von Stapelien musste etwas zur Seite rücken.

Mit feierlicher Geste hob der Kellner die Speiseglocken an. Darunter waren bei jedem von ihnen die vorzüglichen Vorspeisen: Alle drei hatten sie sich für Tomatensuppe an gegartem Kohlrabi entschieden. Der Menge wegen wurde die Suppe auf drei Teelöffeln serviert.

Dann kam der erste Hauptgang.

Bei Herrn von Flodwig war es eine halbe Kartoffel. Daneben war ein kunstvoll drapierter Tropfen Sauce Hollandaise. Die Kartoffel wurde zuvor an glücklichem Seelachs gedünstet. Etwas unglaublich besonderes.

Bei dem Herrn von Stapelien lag ein gepelltes Ei auf der großen Speiselplatte, mit Trüffelstückchen gespickt. Dazu gab es eine Scheibe Brot, das zuvor an Hochlandzwiebeln geröstet wurde.

Auch der Herr Dr. Klügel hatte sich nicht lumpen lassen: Auf seiner Platte lag ein Tortellino. Am Rand der Platte war zudem ein handerlesenes Salatblatt platziert. Das Sahnehäubchen des Gerichtes war die schwungvolle Saucenspur, die den Tortellino schmückte.

Nach dem ersten Gang waren sie schon sehr gesättigt. Dann kamen die weiteren Gänge. Das Highlight der speisenden Runde war der Herr von Stapelien, der sich für den fünften Gang eine ganze Sardelle servieren lies. Dr. Klügel bezeichnete das als Völlerei, stimmte dann aber in die anerkennenden Worte von Herrn von Flodwig ein. Dann war das Dessert an der Reihe.

Dr. Klügel erfreute sich an einem Hauch Crème Brûlée, welches der Kellner direkt vor seinen Augen karamellisierte. Dafür verwendete er ein Streichholz aus handgeschnitztem Mammutbaum-Holz.

Herr von Flodwig und Herr von Stapelien hatten sich beide für ein kleines Vanilleeis mit Goldstaub entschieden. Wegen seiner Laktoseintoleranz hatte Herr von Stapelien das Eis allerdings weggelassen und aß den Goldstaub einfach ohne Beilage.

Dann war der Abend spät und die drei fertig mit ihren Speisen. Herr von Flodwig bat um die Rechnung, die auch geschwind gebracht wurde.

Als vornehme Leute zahlten sie getrennt. Dr. Klügel war überrascht: „1.024 Euro und 50 Cents. Das sind ja fast 10 Euro mehr als das letzte Mal.“

„Das muss an dem großen Tortellino gelegen haben“, meinte er. Zusammen mit den Zehn Prozent Trinkgeld, guten 102 Euro, reichte er das Geld an den Kellner. Der bedankte sich mit einer leichten Verbeugung. Dann zahlte Herr von Stapelien, zum Schluss Herr von Flodwig. Allesamt lobten sie die ganz vorzüglichen Speisen und den Koch.

Fröhlich verließen sie das Restaurant, natürlich erst nachdem Dr. Klügel seinen Schirm sorgfältig begutachtet hatte. Er traute den Leuten einfach nicht, wenn es um seinen Schirm ging.

An der Ecke zum Rathaus verabschiedeten sie sich sehr vornehm voneinander. Man sehe sich ja sicher in den nächsten Tagen, ein ganz wundervolles Stück würde im Theater aufgeführt. Dann ging jeder seines Weges. Voneinander wussten sie es nicht, doch im Schatten der eigenen vier Wände ging ein jeder von ihnen in die eigene Küche. Synchron wurden drei Kühlschränke aufgemacht. Drei Tiefkühlpizzen wurden herausgenommen. 12 Minuten später saßen drei sehr feine Leute am Küchentisch, jeder von ihnen mit einer sehr vornehmen Tiefkühlpizza. Endlich etwas anständiges!

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