Er war ganz neu und sehr plötzlich erschienen. Wie ein Baum, dessen Setzling man über Nacht heimlich mit Zauber-Dünger überschüttet hatte. Morgens war er ihnen auf dem Weg zu Schule aufgefallen. Unscheinbar schloss sich das Schaufenster den anderen an. Dahinter standen glänzende Autos, in verschiedenen Farben. Es war nicht viel Zeit zum Betrachten gewesen, denn der Unterricht fing ja an.

Doch jetzt, auf dem Heimweg, musste das Geschäft genauer unter die Lupe genommen werden. Mit großen Augen standen sie nebeneinander auf dem Bürgersteig und bewunderten die sportlichen Wagen. Sie zeigten auf die Felgen und redeten angeregt. Dann hörten sie die Turmuhr schlagen – nun wurde es aber Zeit! Sie lösten sich mit Mühe von dem Anblick der Ausstellungsstücke und trotteten nach Hause.
Nach dem Essen telefonierten sie herum und verabredeten sich auf dem Platz neben dem Salon Ginno. Mit einem Eis in der Hand machten sie sich erneut auf den Weg zu dem neuen Laden. Als sie in die Straße bogen, stellten sie fest, dass er sich verändert hatte. Hoch über dem Schaufenster war jetzt ein großes Schild angebracht. Doch zum ersten Mal fiel ihnen eine weitere Besonderheit an den Lädchen auf: Es gab keine Tür. „Was für ein merkwürdiges Geschäft“, fanden sie alle. „Wie soll man denn da etwas kaufen?“, fragte einer. „Man kann sowieso nur stehlen, schließlich ist da nicht einmal ein Verkäufer in Sicht“, sagte ein anderer. Dann fiel ihnen noch etwas auf: Etwas abseits von den anderen war wohl seit Mittag ein Auto hinzugekommen.
Dann wurden sie von mehreren Erwachsenen verscheucht, die den Platz vor der Scheibe für sich selbst in Anspruch nahmen.
„Da passt etwas nicht“, stellte einer fest und die anderen murmelten ihre Zustimmung. „Wie sind die Wagen überhaupt hineingelangt? Es gibt weder eine Tür noch irgendein anderes Tor – da sind einfach blanke Wände.“
Das schien ihnen Grund genug, der Sache nachzugehen. Sie sprachen sich ab, um 11 Uhr abends wollten sie sich bei dem Café an der Kreuzung treffen.
Klar, am nächsten Tag war Schule, aber wen interessierte das wirklich? Mit der waren sie bald sowieso fertig.
So schlichen sie sich wenige Stunden später aus ihren Zimmern, hinaus auf die Straße und kurz darauf gemeinsam über die von Laternen beschienene Straße. Dann standen sie wieder vor dem Laden und sahen, dass jetzt Preisschilder an den Wagen standen. Die Zahlen darauf waren unerhört hoch. Wie kamen all diese Sachen auf wundersame Weise dort hinein? Kaum einer bemerkte, dass sich ihnen jemand hinzugesellt hatte. „Am Kauf interessiert?“ fragte eine freundliche Stimme. Erschrocken drehten sie sich um. Vor ihnen stand ein Mann mit sehr ordentlichem Anzug. Daran war ein kleines Namensschild gepinnt. Es verlautete „Verkäufer“. „Ähm“, sagte einer von ihnen, „Herr Verkäufer, wir wollten eigentlich nur herausfinden, was es mit dem Geschäft auf sich hat. Es gibt ja keine Tür oder so.“ Ein anderer fügte hinzu: „Die Sachen sind ja eh viel zu teuer für uns.“
„Oh, nicht doch!“ sagte der Verkäufer. „Jeder kann sich alles darin kaufen. Ihr müsst nur jeden Tag Arbeiten, dann werdet ihr irgendwann belohnt. Hinein kommt man übrigens einfach durch die Scheibe – aber darum geht es ja nicht. Eigentlich kommt nie irgendwer soweit, sich etwas aus meinem Laden zu leisten. Viele haben nicht genug Disziplin, dafür zu arbeiten. Aber doch arbeiten die Leute ganz automatisch mehr, wenn sie die Sachen hinter dieser Scheibe sehen. Es ist eine optimale Motivation!“
Sie starrten ihn an. „Aber das ist doch Betrug, wenn Sie genau wissen, dass es sich niemand leisten kann? Sie wollen nur, dass sich die Leute abrackern!“
„Oh, ich bitte euch!“, sagte der Verkäufer, „Werdet nicht unhöflich. Schaut nur schön weiter durch die Scheibe.“ Dann verschwand er so plötzlich wie er erschienen war.
„Was für ein Widerling“, sagte der eine und die anderen stimmten ihm zu. Dann kam einem ein Gedanke: „Kommt mit“, sagte er und schritt durch die Scheibe hindurch. „Stimmt ja!“ sagte ein anderer. „Er hat uns ja in seiner Überheblichkeit verraten, wie man hineinkommt.“
Drinnen sagten sie erst einmal nichts, bis einer die passende Formlierung gefunden hatte: „Was für ein Schrott.“
Damit hatte er Recht. Die Autos waren ganz heruntergekommen. Ein Reifen war platt und die Farben waren alle ziemlich schäbig. „Das ist ein ganz mieser Schwindel“, stellte einer fest.
Das konnten sie nicht durchgehen lassen. Sie besprachen einen Plan, einen komplizierten. Es funktionierte, zumindest als der eine etwas Werkzeug aus dem elterlichen Betrieb heranschaffte. Zwei Stunden später war schon fast Sonnenaufgang und sie schlichen allesamt nach Hause.
Um Punkt Sieben klingelten ihre Wecker und verschlafen machten sie sich auf den Weg zur Schule. Alle zwei Schritte machten sie Pause, um ausgiebig zu Gähnen. Die anderen Schüler, ausgeschlafen wie sie waren, überholten sie am laufenden Band. Zwei Straßen weiter stießen sie alle aufeinander, denn dort hatte sich eine Menschentraube angesammelt. Im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stand wohl das neue Geschäft. Da ging ein müdes, aber herzhaftes Lächeln über ihre Gesichter.
Besonders die Erwachsenen mit ihren Krawatten und Aktenkoffern starrten wie gebannt auf die heruntergekommenen Autos. Doch wie sie miteinander sprachen, merkten sie, dass sie sich merkwürdig fühlten. Nacheinander hörte man Dinge wie „Ich habe diese Woche ja noch gar nichts im Garten gemacht“, oder „Ich habe ja schon wenig meine Eltern nicht mehr besucht.“
Weitere schlossen sich an, ließen ihre Koffer liegen und eilten in verschiedenen Richtungen auseinander. „Mal wieder was mit der Familie machen“ murmelten einzelne vor sich hin.
Übrig blieben nur die Schüler. „Wie habt ihr das geschafft?“ fragte ein Erstklässler, dem ihre Gesichter verdächtig schienen. Auch die anderen schauten zu den Großen. Im gleichen Moment mussten die gähnen: „Naja“ sagte der eine, „Wir haben die Scheibe umgedreht.“